Vom Mut zum kleinen Format
 
Seit der Künstler Manfred Mahsberg sich der Betrachtung  und letztlich auch der Kritik der sogenannten Kunstszene stellte,
stieß er auf die Frage: "Die Bilder sind aber klein. Warum malen Sie nicht mal etwas größer?" Von seinen ersten Ausstellungsreihen
mit "Gemälden" im DIN A 4-Format an hat sich das kleine Format in seinem Werk konkretisiert sogar weiter reduziert und zu einem
sehr persönlichen und konsequenten Stilmittel verfestigt. Die Miniatur im weitesten Sinne ist die Zielvorgabe seiner
künstlerischen Position, die er nun schon seit geraumer Zeit ganz bewusst mit jenem Motiv kombiniert, das seit jeher besonders
eng mit der Miniaturmalerei verbunden ist - nämlich das Porträt. Die Darstellung des menschlichen Gesichts im allerkleinsten Format
ist seit Jahrhunderten bekannt, nicht nur in der Malerei, sondern auch im Relief wie bei Münzen, bei Kameen oder bei Gemmen ist
das Porträt zu finden. Es ist der miniaturhaften Darstellung des menschlichen Antlitzes eine besondere Form des
"Einfangens der Persönlichkeit" eigen, die das Porträt in ein besonderes Objekt der Kostbarkeit und "der Begierde" wandelt.
Die Miniatur als Darstellung einer besonders bedeutenden oder liebwerten Person stellte für den Besitzer jenes verkleinerten
Abbildes auch immer ein Stück weit Aneignung der fremden Persönlichkeit dar, die er in diesem Kontext stets mit sich tragen und
immer wieder vergegenwärtigen konnte.

Manfred Mahsbergs Bilder sind zwar Miniaturen im Taschenformat aber nicht zum Mit sich tragen gedacht, sondern sie leisten eine
besondere Verdichtung von Malerei und Darstellung, die sich ganz im Gegensatz zu den miniaturhaften Abbildungen früherer
Jahrhunderte eher in der Distanz als in der Nähe konkretisiert. In seiner pastosen und impressiven Darstellungsform vermitteln seine
kleinen Abbildungen von berühmten und weniger berühmten Persönlichkeiten erst aus der großen Distanz heraus jene konkrete
Erinnerung, die sich in der Annäherung und im analysierend präzisen Blick auf die Oberfläche eher zu verlieren drohen. In dieser
besonderen Flüchtigkeit der Wahrnehmung liegt die eigentliche Qualität von Manfred Mahsbergs Malerei. Die Erinnerung, das
"Unfassbare", die der Künstler mit seiner Malerei materialisiert, steht im direkten Kontext zu seinem Menschenbild. Die Struktur, die
seinen kleinformatigen Bildern innewohnt, ist die Struktur von großen Bildern, konzentriert auf kleiner Fläche. Die Wahrnehmung,
die uns die Abbilder erlauben, ist eine Wahrnehmung der Distanz und Ferne, die sich in der fokussierenden Betrachtung von einer
idealistischen Erscheinung zu einem materialistischen Faktum von Struktur und Textur wandelt.

Die Auseinandersetzung mit den auf den Bildern dargestellten Persönlichkeiten vermittelt sich daher zwangsläufig mehr als eine
Aneignung aus der Distanz, die sich in dem Moment, in dem wir uns als Betrachter näher auf diese gemeinten Personen einlassen
wollen, unmöglich gemacht wird oder anders formuliert, sich in eine "oberflächliche" Betrachtung verändert. Aus diesem
Spannungserlebnis zwischen Nähe und Ferne, zwischen Makro- und Mikrostruktur, zwischen Abbildhaftigkeit und informeller
Materialität entstehen alle Arbeiten von Manfred Mahsberg und sind in diesem besonderen dialogischen Prinzip vor allen Dingen
deshalb erfahrbar, weil sie so klein sind.

Das Miniaturformat der Arbeiten von Manfred Mahsberg ist unabdingbare Notwendigkeit für die Unausweichlichkeit der Erfahrung,
die der Betrachter in dieser Form von Malerei gewinnt. In der Kleinheit der Formate liegt ihre besondere Qualität, die es dem Künstler
möglich macht, genau jene Identifikation mit dem Dargestellten zu verhindern, die eine Adaption des Bildes unter anderen
Bedingungen möglich machen würde. Der Betrachter wird sich seiner Ohnmacht bewusst, jene Porträtgestalt "zu fassen zu
bekommen" und erlebt die Malerei eben so nicht unter ihren rein malerischen Bedingungen, sondern immer im Spannungsbogen
zwischen Abbildhaftigkeit und sich auflösender Struktur. In den mit Silikonmasse verschlossenen Bildern steigert Manfred Mahsberg
dieses Gefühl der Ohnmacht und thematisiert gleichsam materiell die "Unberührbarkeit" seiner Personenporträts.
Die Bild-Gemälde, deren Stofflichkeit und Materialitä„t in höchstem Maße präsent ist, scheinen im Kontext der Präsentationen
daher fast immateriell wie Erinnerungsblasen einer geistigen Manifestation, die der Betrachter sich an "die Wand gedacht" hat.
Dies steht im Gegensatz zu der klassischen Miniaturmalerei. Denn den Miniaturen vergangener Jahrhunderte war eine besondere
Form der Berührbarkeit eigen, die die Besitzer und Betrachter immer wieder einluden, die Miniatur hervorzuholen, anzuschauen und
oftmals auch zu berühren. Im Gegensatz dazu vermitteln Manfred Mahsbergs Arbeiten einen Grad der Unberührbarkeit, der sich nicht
allein aus dem Material, sondern vor allem aus den Erfahrungen bei der Betrachtung der Arbeiten entwickeln.

Der Manfred Mahsberg wohl allzu oft gegebene Rat "Machen Sie doch mal große Formate, dann kommen Sie auch ins Museum"
hat ihn in all den Jahren wohlweislich unbeeinflusst, wenn auch nicht unberührt gelassen. Den Weg in die Museen hat er dennoch
gefunden wie unsere gemeinsame Ausstellungstournee belegt. Die besondere Qualität, die Manfred Mahsberg seinen
Miniaturformaten verleiht, wäre in keinem anderen Format für ihn zu leisten und stellt uns vor die befriedigende Gewissheit,
dass Malerei, wenn sie Malerei ist, über jedes Format erhaben ist.

Dr. Gabriele Uelsberg