Manfred Mahsberg
Vielleicht hat der erste Eindruck einer Sache etwas mit deren Wahrheit zu tun? Mein erster Eindruck von den kleinen Bildern von
Manfred Mahsberg war mehr als nur Irritation, da war eine Art leiser Schrecken, ein Unbehagen.
Das klingt übertrieben, aber ich hatte das Gefühl, bei jedem neuen Hinblicken wären die Bilder kleiner geworden, als würden sie verschwinden.

Was sieht man? Da wird immer wieder Leinwand um ein kleines Holzbrett geschlagen, und in einer fulminant hingestrichenen
Malerei, flach und fleckig oder pastos plastisch, macht man schemenhaft ein Gesicht aus, und das erscheint dann kompakt
wie ein Block auf der Wand, mehr Objekt als Bild, verschiebbar nach allen Seiten, eigentlich ortlos.
Normalerweise gilt das Interesse des Betrachters dem, was auf Bildern "drauf" ist, hier, so scheint mir,
geht es zuerst einmal um die Frage, ist das ein Bild oder was überhaupt ist ein Bild? Seit es das Tafelbild als Typus gibt
- so lange ist das noch nicht her - gilt es in seiner rechteckigen Form an der lotrecht stehenden Wand hängend,
als ein Modell für Welt in der Ordnung des rechten Winkels. Die Senkrechte wäre gegeben durch die (gedachte) Achse
des stehenden Betrachters, die Waagerechte durch den (gedachten) Horizont.
Das ist einerseits so eingefleischt, dass es einem gar nicht bewusst ist, anderseits fällt jedoch jede kleine Störung - z. B. Schiefhängen
eines Bildes - als "falsch" auf. Und das nun im Format 75 X 75 mm und dazu dieses Schwinden, dieses Verschwinden.
Das gleiche Moment des Abnehmens der Form findet sich auch bei dem Bildhauer Alberto Giacometti.
Es gab da eine Phase, da passten seine Plastiken in eine Streichholzschachtel.
In beiden Fällen muss man das Schwinden der Form nicht so grundsätzlich als Frage oder Angriff, d. h. so existentiell begreifen, aber man kann.
Jedenfalls würde das mein Irritiertsein vor den Bildern Manfred Mahsberg erklären.

Man kann nun darüber streiten, ob diese kleinen Bilder Portraits sind, oder eher bloße Malerei, oder ob es um beides geht.
Bei jedem Bild steht ein Name, d. h. dahinter gibt es eine Person, so oder so aussehend, wie man es von Fotos kennt.
Dann diese Malerei, dieses Malen, nass in nass ganz nah und so frisch, als schaute man dem Malen zu.
Das ist wie ein Selbstlauf des Materials immer anders. Zuerst ist das ein frei spielendes Gemische, aber dann ist da diese Präzision,
dieses Kalkül, wie der Pinsel einen Haken schlägt und für einen Moment Stirn, Wangenknochen, Augen erscheinen. Form bildet sich,
Form löst sich auf, Annäherung und Lassen, ein spannendes Spiel, und riskant.
Wenn die Balance gelingt, glanzvoll, wenn nur Chaos gesehen wird, ein Absturz.

Einmal als ich eines dieser Bilder von Nahem anschaute, hatte ich für einen Moment die Assoziation einer geballten Faust, ganz Kraft,
ganz zusammengezogene Energie. Und als ich länger hinblickte, war es, als öffnete sich die Faust zur Hand.
Das Bild strahlte aus, wurde offen, wuchs und ging über mich hinweg.
Prof. Dr. Bussmann